Balkis
Die schwarze Gazette
Ausgabe 87 vom 09.06.2003
 
Reisebericht
 
Das Phantom der Bibliothek
 

 
Die schwarze Gazette: Reisebericht

Liebe Leserinnen und Leser, wir setzen die Reihe "Reiseberichte" mit einem Artikel über eine schauderhafte Begebenheit in der Minocer Bibliothek fort. Wir möchten nicht versäumen ausdrücklich auf die besondere Umsicht und Tapferkeit der Autorin, welche aus nahe liegenden Gründen ungenannt bleiben möchte, hinzuweisen.

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Das Phantom der Bibliothek
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Es begann alles ganz harmlos. Ich weilte seit kurzem in Minoc um über den Wiederaufbau der Stadt zu schreiben. So begab ich mich an jenem unglückseligen Abend zu später Stunde in die Bücherei um einige Recherchen anzustellen. Die Türen waren noch geöffnet, ein Bediensteter nirgends zu erblicken. Nun ja, die Verwalter Minoc's waren noch jung und so wunderte mich dies nicht wirklich - Kinder mussten eben früh zu Bett…

Also setzte ich mich an ein Lesepult und begann einige Bücher zu wälzen. Ganz in meine Nachforschungen vertieft, vergaß ich die Zeit. Als der kärgliche Rest meiner Kerze verlosch und ich unvermittelt im Dunkeln saß…

Ein Geräusch lies mich aufhorchen. Jemand war noch im Raum. Eine Ratte? Na, das fehlte noch! Wütend packte ich eines der Bücher als Waffe. Ich hatte vor das Tier mit einem Schlag zu erlegen. "In Lor" rief ich in die Nacht und im grellen Licht des Zaubers stand ich, … das Buch zum zerschmettern des Untiers erhoben, … vor einem grässlichen Ork!

"Wachen! Bürgerwehr! Alarm!" Reflexartig verpasse ich dem Moloch einen Tritt in seine Genitalien, Im nächsten Augenblick habe ich meinen Dolch gezückt und eine rote Rose (zwecks der besseren Optik) im Mund. Ein eleganter Flickflack rückwärts und meine Stiefel treffen den Unhold ungefähr 30mal zeitlupenartig im Gesicht. Mein Geist hat quasi völlige Kontrolle über meinen Körper. Die Zeit scheint gefroren als ich in Kampfeshaltung vor meinem Gegner schwebe. Ein gezielter Kick und der Kopf des Schwarzorks fliegt in hohem Bogen davon. Ich lande betont langsam mit beiden Beinen auf dem Boden und mein schwarzer wallender Ledermantel hat nicht den geringsten Kratzer. Mit einer lässigen Bewegung rücke ich die Sehhilfe auf meiner Nase zurecht…

Soweit die Theorie…

Inzwischen stehe ich immer noch vor dem Ungeheuer und bringe keinen Ton heraus. Der Alarmschrei gurgelt meine Kehle empor. In Erwartung meines markerschütternden Schreis kneife ich beide Augen zu. Doch oben angekommen versagt meine Stimme. Ich sinke auf meine zitternden Knie, während ein jämmerlich schluchzendes "Mama!" piepsend über meine Lippen kommt. Zu allem Überfluss bildet sich unter meinem Kleid eine peinliche Pfütze. Inständig hoffe ich es möge Blut sein. Das Buch immer noch krampfhaft vor mich haltend erwartete ich, gelähmt vor Angst, den Todesstoß.

Doch ich warte und warte… "Ja was jetzt?" entfährt es mir trotzig. Ein Wimmern war die Antwort. War ich das? Ich öffne vorsichtig ein Auge. Vor mir liegt zusammengekauert in der Ecke ein wimmerndes orkähnliches Wesen dessen tellergroße Augen im grellen Licht hilflos blinzeln. "Ha!", rief ich aus, "hab ich dich also erwischt – Unhold!" Ich wende meinen Blick etwas zur Seite und halte mir eine Hand vors Gesicht (ich kann kein Blut sehen). Mit der anderen Hand stochere ich tapfer mit meinem Dolch in Richtung Orkmensch. Der war gar nicht so leicht zu treffen als er so in seiner Ecke hilflos herumzitterte.

Zu meinem Entsetzen sprach mich das Wesen in seiner Todesqual unvermittelt an. Konnte der nicht einfach wie ein Mann – pardon, wie ein Ork sterben? Doch anstatt aufrecht in seinen Stiefeln zu verenden bettelte die Kreatur um ihr Leben – pfff, wie jämmerlich!
"Oooh, Mylady, töööötet mich nicht – erbaaarmen, maiiin aaarmer Schaaaatz…
Sein Sabber ruinierte dabei den Saum meines herrlichen Kleides.
"Schatz? ich bin nicht auf deine kümmerlichen Ersparnisse angewiesen Du Sohn eines Orks"
"Naaaahiin", hauchte das Ding, "kein Gooold, diiiie Büüüücher!"
"Bücher? Seid Ihr etwa…? "
"Jaaah", hauchte das Wesen, "ich bin der Bibliothekaaaar"
Mein Gesichtsausdruck in diesem Moment glich wohl dem eines Priesters, der die Pflicht hat König Mercutio und Prinz Morcan zu vermählen.

Vergessen war all der Schrecken. Wir verbrachten den Rest der Nacht mit anregenden Gesprächen. Er erzählte mir seine traurige Geschichte, vom brennenden Minoc, seiner körperlichen Behinderung und der grässliche Entstellung seines Gesichts. Menschen mieden ihn und so kam es, das er nur des Nachts die Bücherei betrat und für Ordnung sorgte. Die Bücher aber waren sein Heiligtum, sein Schatz. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als einen Gehilfen welcher ihm einen Teil der schweren Arbeit abnehmen und die Kunden am Tage betreuen konnte. Aber er wagte sich nicht unter Menschen. Und so musste erst ich zu später Stunde zufällig über ihn stolpern. Leider konnte auch ich ihm keinen Gehilfen herbeizaubern aber ich versprach seinen Wunsch weiter zu tragen bis er – eines Tages vielleicht – ein geneigtes Ohr finden würde...

Und wenn Ihr liebe Leserinnen und Leser, des Nachts unweit der Bücherei zu Minoc Eueres Weges zieht, dann haltet kurz inne und lauscht… Vielleicht hört Ihr das liebevolle Raunen aus dem alten Gebäude: "Maaaiiin Schaaaatz!" Und Klauenbewehrte Hände blättern vorsichtig in den Seiten uralter Werke, sorgsam jedes Staubkörnchen entfernend…


gez. Die Untergrundbewegung
"Freiheit für Britain"



 

 
 
09.06.2003 - 21:27Kontakt: redaktion@die-schwarze-gazette.de
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